Griechenland muss Reformauflagen sofort umsetzen



Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble sieht in den jüngsten Beschlüssen der Euro-Finanzminister keine Zusage an Griechenland, sich mit der Umsetzung der Reformauflagen zwei Jahre mehr Zeit zu lassen.

In einem Interview mit dem Südwestrundfunk vom 13. November 2012 sagte der Minister, für die Erfüllung der Auflagen gebe es „gar keine Frist“, sie müssten „jetzt umgesetzt“ werden. Die „meisten“ Programmpunkte seien bereits in Kraft gesetzt, einige andere müssten „noch vor der Auszahlung der nächsten Tranche“ verwirklicht werden. Griechenland solle allerdings bis 2016 Zeit gegeben werden, um seine Neuverschuldung auf 3 Prozent der Wirtschaftsleistung zurückzufahren, sagte Schäuble. Das bisherige Zieldatum 2014 sei „völlig unrealistisch“. Wie dieser Aufschub zu finanzieren sei, werde erst noch geklärt.

Klar sei auch, dass Griechenland erst 2022 und damit ebenfalls zwei Jahre später als ursprünglich gedacht seine Schuldentragfähigkeit erreichen könne. Dieser Begriff beschreibt die Fähigkeit eines Landes, seine Schulden komplett zurückzuzahlen, ohne sein Wachstum zu gefährden. Schuldentragfähig ist ein Land nach herkömmlicher Lesart, wenn sein gesamtstaatliches Defizit bei höchstens 120 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt.

SWR2: Vor dem Treffen der Euro-Finanzminister gestern wurden Sie so zitiert, dass es noch zu früh sei für eine Entscheidung über die Griechenlandhilfen. Heute Morgen nun hören wir von einem Beschluss, dass Athen zwei Jahre mehr Zeit erhalten soll für die Umsetzung der Reformauflagen. Wer oder was hat Sie da umgestimmt?

Schäuble: Nein, wir haben ja genau das gemacht, was ich, wie die meisten anderen, die einigermaßen sachkundig waren, vorher gesagt haben. Wir haben noch keine Entscheidung treffen können, weil noch eine Reihe wichtiger Fragen nicht beantwortet sind. Griechenland hat große Fortschritte gemacht. Das war ja unbestritten. Das haben wir ja auch anerkannt. Das ist auch wichtig, dass man auch die Verantwortlichen in Griechenland ermutigt, und dass man auch der Bevölkerung in Griechenland sagt, die Anstrengungen sind nicht umsonst. Aber es müssen alle Fragen geklärt werden. Die Frage, dass Griechenland für die Wiedergewinnung der Schuldentragfähigkeit, dass das nicht im Jahre 2020 sein wird, sondern im Jahre 2022, das war bereits vorher klar. Das ist aber nur einer und nicht der wichtigste Punkt. Eine Reihe wichtiger Punkte müssen noch beantwortet werden. Die werden in den nächsten Tagen ausgearbeitet. Und ich hoffe, dass wir in der kommenden Woche dann in einer Lage sind, dass wir den Deutschen Bundestag informieren können, damit der Bundestag vorher zustimmen kann. Der muss ohnedies vorher zustimmen. Deswegen war völlig klar, gestern konnte es da keine Entscheidung geben.

SWR2: Ich verstehe Sie richtig, diese verlängerte Frist, also zwei Jahre mehr für die Erfüllung der Reformauflagen, die ist noch nicht beschlossen?

Schäuble: Nein, für die Erfüllung der Reformauflagen gibt es gar keine Frist. Die müssen jetzt umgesetzt sein. Die meisten sind umgesetzt. Einige müssen noch vor der Auszahlung der nächsten Tranche umgesetzt werden. Bei dieser Frist geht es darum, welche Berechnungen wir zugrunde legen für den Finanzbedarf Griechenlands – und bei den Wachstumsraten, die angenommen werden, die Griechenland erzielt hat – dass Griechenland wieder auf eine Schuldentragfähigkeit kommt. Und da hat sich die Lage ja noch einmal wesentlich verschlechtert. Deswegen wussten alle, bis 2020 ist das nicht zu schaffen. Und deswegen haben wir gesagt, dass ist sowieso klar, wir werden das erst 2022 schaffen können.

SWR2: Haben Sie denn Anhaltspunkte, dass es bei näherer Betrachtung in Griechenland schlechter voran geht als der positive Grundton des Troika-Berichts – eine Formulierung von Herrn Juncker – als dieser positive Grundton vermuten lässt?

Schäuble: Na ja, ich meine, wir wissen ja, dass Griechenland eine Menge Zeit verloren hat. Sonst hätten wir ja die Verhandlungen gar nicht haben müssen. Eigentlich haben wir vor einem Jahr ein Programm für Griechenland verabredet, mit auch Privatisierungsleistungen, die Griechenland erbringen musste, in diesem Jahr nicht erbringen konnte – jedenfalls nicht erbracht hat. Sie wissen, Griechenland hat zwei Mal neue Wahlen durchgeführt. Das war mit erheblichen innenpolitischen Auseinandersetzungen verbunden. Das ist in der Demokratie manchmal nicht zu vermeiden. Aber es ist natürlich nicht hilfreich. Die wirtschaftliche Lage hat sich weiter verschlechtert. Das ist ja unstreitig. Und deswegen war ja von vorn herein klar, Griechenland strengt sich an, Griechenland hat finanzpolitisch massive Eingriffe beschlossen. Das muss man auch respektieren, anerkennen, unterstützen. Aber das Problem ist natürlich in diesen 12 Monaten noch größer geworden.

SWR2: Die Troika scheint ja vorzuschlagen – jetzt unabhängig davon, was Ihre Kollegen und Sie heute Nacht oder gestern Abend beschlossen haben – die Troika scheint vorzuschlagen, dass Griechenland durchaus zwei Jahre mehr Zeit für die Umsetzung der Reformen bekommt. So was ginge nicht zum Nulltarif. Die Kosten werden auf noch mal über 30 Milliarden Euro geschätzt. Wie müssten die denn im Fall des Falles aufgebracht werden? Über ein neues Hilfspaket?

Schäuble: Ich glaube, man muss ein bisschen unterscheiden zwischen der Rückgewinnung einer Schuldentragfähigkeit, für die wir eine nicht höhere Verschuldung als 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukte unterstellen. Und das andere, in welchem Zeitraum Griechenland sein Defizit so reduzieren kann, dass es unter drei Prozent der (Wirtschaftsleistung) Gesamtverschuldung liegt, das laufende Defizit. Auch dazu braucht Griechenland in der Tat mehr Zeit. Aber die Auflagen muss Griechenland jetzt umsetzen, die Schnitte im Haushalt hat Griechenland beschlossen.

SWR2: Wie viel mehr Zeit würden Sie denn Griechenland geben wollen für die Umsetzung?

Schäuble: Auch dabei geht es um zwei Jahre. Es ist völlig unrealistisch anzunehmen, dass Griechenland das ursprünglich vereinbarte Ziel bis Ende 2014 erreichen kann in der Reduzierung seines Defizits. Deswegen hat die Troika vorgeschlagen – das war auch unstreitig -, dass man auf 2016 gehen muss. Das heißt aber nicht, dass sie nicht die Maßnahmen jetzt alle in Kraft setzen müssen.

SWR2: Das ist schon klar. Aber was kostet das? Was wird das kosten, wenn es zwei Jahre verlängert wird?

Schäuble: Das kostet nicht unbedingt mehr Geld. Es erhöht nur den Finanzierungsbedarf auf der Zeitachse. Und dafür müssen Lösungen gefunden werden. Das ist genau das, woran noch gearbeitet wird.

SWR2: Was wäre das? Niedrigere Zinsen oder längere Laufzeiten?

Schäuble: Das wird eine Kombination von Maßnahmen sein. Genau dafür haben wir noch keine Vorschläge der Troika. Und da wir keine hatten, hatten wir auch noch keinen vollständigen Bericht der Troika. Das hat die Troika auch gar nicht behauptet, sondern die hatte eine Analyse der Lage mit verschiedenen Optionen. Die haben wir diskutiert und jetzt der Troika und unseren Staatssekretären gewissermaßen Leitlinien gegeben mit dem Auftrag zu versuchen, daraus eine – das ist extrem schwierig – eine Lösung zu finden, die noch machbar ist.

Das Interview führte Rudolf Geissler.

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