Gemeinsame Geschichte(n) erzählen – Laudatio auf Aydin Dogan



Rede von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich der Verleihung der Goldenen Gloria des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger in Berlin

Das Wort vom „global village“ drückt aus, dass wir mit Menschen aus allen Teilen der Welt stärker verflochten sind. Dass unsere Geschichte zunehmend eine gemeinsame wird. Dazu brauchen wir ein Verständnis, dass wir zusammen gehören. Dem Soziologen Karl-Otto Hondrich verdanken wir die Einsicht, dass Zusammengehörigkeit aus gemeinsamen Mythen, Erinnerungen, Geschichten entsteht. Also müssen wir uns gemeinsam Geschichten erzählen. Journalisten sind Geschichtenerzähler. Natürlich sollen sie objektiv berichten, aber ohne persönlichen, kulturell oder politisch beeinflussten Zungenschlag geht das gar nicht, gibt es auch keine Geschichte.

Aus Kommunikation bildet sich Gesellschaft, und Medien prägen unser Bewusstsein. Komplexe Wirklichkeit, Freiheit, Vielfalt braucht Streit und Zusammengehörigkeit.

Damit habe ich schon gesagt, was die Rolle der Medien im Prozess der Integration ist. Durch Pluralismus und kritische Diskussion können sie den neu Dazukommenden helfen, in einer Gesellschaft mit all ihren geschriebenen und ungeschriebenen Regeln anzukommen. Der aufnehmenden Bevölkerung können sie helfen, Zuwanderer mit ihren Wurzeln und Besonderheiten zu verstehen.

Den größten Dienst erweisen Medien der Integration – was gutes Miteinander und Zusammengehörigkeit bedeutet –, wenn sie helfen, den Gegensatz des „wir“ und „die Anderen“ aufzulösen. Das passiert immer dann, wenn Menschen etwas gemeinsam erleben. Wenn Menschen Ereignisse durch Geschichten, die von Journalisten erzählt werden, gemeinsam erleben, dann entsteht so etwas wie gemeinsame Geschichte.

Wie das geht, haben wir bei der letzten Fußball-Europameisterschaft erlebt. Der wunderbare Film über Aydin Dogan hat gezeigt, wie groß damals bei allen die Leidenschaft war. Vor allem hat er gezeigt, wie sehr, sehr geehrter Herr Dogan, Sie sich mit Ihren Medien für die Integration engagieren.

Die Aktion von BILD und Hürriyet bei der Fußball-Europameisterschaft hat viel dazu beigetragen, dass Deutsche und Türken das tolle Halbfinale als gemeinsame Geschichte erlebten. Wie immer im Sport konnte es nur einen Sieger geben. Und doch haben alle gewonnen. Das lag sicher auch an der Berichterstattung, die alle Fans zur Brüderlichkeit aufforderte. Ich glaube wir haben selten ein tolleres Fest von Deutschen und Türken erlebt.

Auch in schwierigen Zeiten setzen sich Aydin Dogan und seine Medien für ein gutes Miteinander ein. „Biz dostuz!“ – „Wir sind Freunde“ schrieben die Chefredakteure von Hürriyet und BILD 2006 während der Karikaturenkrise. Als sich nach dem Brand in Ludwigshafen die Emotionen hoch schaukelten, forderten Kai Diekmann und Erturul Özkök alle Bürger in deutscher und türkischer Sprache zu gegenseitigem Vertrauen auf. Mit dem ZDF setzen sich die Dogan-Medien dafür ein, dass die türkische Bevölkerung in unserem Land vertrauter wird mit der deutschen Kultur und aktuellen gesellschaftlichen Themen. So helfen sie den in Deutschland lebenden Türken, hier anzukommen, ohne ihre Wurzeln zu verlieren.

Ich finde dieses Engagement beispielhaft. Es spornt geradezu zum Mitmachen an. Weil ich Sie nun gerade alle vor mir habe: Was halten Sie davon, wenn einmal nicht die Fußballer, sondern türkische und deutsche Journalisten für einen Tag die Trikots tauschen? Wenn einmal die Redaktion der Hürriyet die BILD-Zeitung schreibt und umgekehrt?

Durch so einen „Blickwechsel“ würden wir alle eine Menge lernen. Und ich glaube, viele Journalisten wären da gerne mit dabei. Aus der Arbeitsgruppe Medien der Islamkonferenz, die gerade für Dezember einen Runden Tisch deutscher und türkischer Journalisten vorbereitet, weiß ich, wie groß das Interesse an einem noch intensiveren Austausch ist.

Die Verleihung der Goldenen Victoria an Aydin Dogan soll ausdrücken, wie groß die Wertschätzung für Ihr Engagement in Deutschland ist. Die Deutschen Verleger zeichnen Sie nicht nur für Ihre Verdienste um die Integration aus, sondern auch als weitsichtigen Unternehmer. Sie verbinden Tradition und Fortschritt und zeigen, dass wir am weitesten kommen, wenn ökonomische und gesellschaftliche Werte zusammen gehen. Sie beschränken sich nicht auf den Handel mit Informationen, sondern Sie tun es in einer Weise, die Menschen über Grenzen und Unterschiede hinweg näher zueinander bringt.

Dafür danke ich Ihnen auch persönlich und gratuliere Ihnen herzlich zu der Auszeichnung, die ich Ihnen heute überreichen darf. Ich freue mich auf viele weitere Initiativen für ein gemeinsames, gemeinschaftliches Bewusstsein von Türken und Deutschen.