„Eine gefährliche Enthemmung“



Interview mit Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble im Münchner Merkur

Münchner Merkur: Der Telekom sind Daten von 17 Millionen Kunden gestohlen worden, darunter Geheimnummern und Adressen vieler Prominenter. War Ihre auch dabei, Herr Schäuble?

Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble: Das weiß ich gar nicht. Was mich betrifft: Mein Wohnort ist kein Geheimnis. Ich wohne in Gengenbach, das ist jedem Einwohner und jedem Touristen dort bekannt. Das gilt auch für diejenigen, die mit Telefonnummer und Adresse im Telefonbuch stehen. Dennoch: Der Vorgang bei der Telekom ist sehr ärgerlich und er zeigt, dass die von uns angestrebte Verbesserung des Datenschutzes dringend nötig ist. Wir hoffen, den Gesetzentwurf noch im November im Kabinett verabschieden zu können.

Münchner Merkur: Die Telekom hat den Datenklau bereits im Frühjahr 2006 bemerkt, aber erst jetzt die Regierung informiert. Genießt die Konzernspitze noch Ihr Vertrauen?

Schäuble: Die Telekom hat damals frühzeitig die Behörden informiert und die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Im Frühjahr dieses Jahres, als es bei der Telekom ein anderes Vorkommnis gab, hat mir der Vorstandsvorsitzende René Obermann auch darüber berichtet. Deshalb will ich ihm keinen Vorwurf machen.

Münchner Merkur: Warum werden Unternehmen nicht verpflichtet, Datenmissbrauch sofort zu melden?

Schäuble: Die Eckpunkte der geplanten Gesetzesänderung sehen eine solche Informationspflicht vor. Unternehmen, die den Missbrauch von Daten feststellen, müssen in Zukunft sowohl die betroffenen Personen als auch die Öffentlichkeit und die Behörden darüber informieren.

Münchner Merkur: Als Reaktion auf die Telekom-Spitzelaffäre ist auch eine Kennzeichnungspflicht im Gespräch, damit die Herkunft von Kundendaten erkennbar wird. Wie soll das funktionieren?

Schäuble: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Durch die rasante Entwicklung der modernen Informationstechnik entstehen jeden Tag eine Fülle von Daten. Und je mehr Daten produziert werden, desto höher ist das Risiko des Missbrauchs. Wir müssen den Schutz persönlicher Daten verbessern, ohne dabei einen bürokratischen Overkill herbeizuführen und dadurch Kommunikation zu erschweren. Die betroffenen Bundesressorts sowie auch die Datenschutzbeauftragten waren sich auch hier einig.

Münchner Merkur: Sind die Bürger zu leichtfertig im Umgang mit ihren persönlichen Daten?

Schäuble: Die modernen Informationsmittel verführen uns Menschen, mehr von uns mitzuteilen, als wir wirklich möchten. Wenn man sieht, welche persönlichen Informationen, welche Bilder und Filme viele Nutzer ins Internet stellen, ist das ein gefährliches Maß an Enthemmung. Die Leute glauben, das Netz sei anonym, aber das ist es natürlich nicht.

Münchner Merkur: Die Geheimdienste warnen, das Internet sei längst auch zur globalen Plattform für den Terrorismus geworden.

Schäuble: In der Tat ist das Internet für den internationalen Terrorismus mittlerweile das entscheidende Medium – angefangen bei der Verbreitung von Hasspropaganda über die Rekrutierung von Nachwuchs bis hin zu detaillierten Anleitungen für den Bombenbau. Auch die Planung und Verabredung von Terrorakten findet häufig über das Internet statt.

Münchner Merkur: Immer öfter schließen sich gebürtige Deutsche islamistischen Terrorgruppen an. Wie ist es zu erklären, dass sich junge Männer in kürzester Zeit radikalisieren?

Schäuble: Junge Menschen, die sich gesellschaftlich benachteiligt fühlen, können leichter der Versuchung erliegen, sich in Fundamentalismus oder extremistische Idiotien zu flüchten. Wir stellen aber auch fest, dass eine wachsende Zahl von Deutschen ohne jeden Migrationshintergrund zum Islam konvertiert, um sich radikalen Strömungen anzuschließen.

Münchner Merkur: Wurde das Problem der Konvertiten unterschätzt?

Schäuble: Konvertiten hat es schon immer gegeben. Der Großteil wechselt den Glauben wegen der Heirat mit einem muslimischen Ehepartner. Wir dürfen diese Menschen nicht unter Generalverdacht stellen. Andererseits wissen wir auch, dass Terrornetzwerke unter den Konvertiten sehr gezielt nach solchen suchen, die sie radikalisieren können, weil sie hoffen, dass ein Konvertit weniger auffällt.

Münchner Merkur: Erst vor wenigen Tagen wurden am Flughafen Köln/Bonn zwei Männer festgenommen, die zur Ausbildung in ein Terrorlager reisen wollten. Bisher ist der Besuch eines solchen Camps nicht strafbar.

Schäuble: Es hat lange gedauert, aber jetzt haben wir mit dem Bundesjustizministerium eine Einigung erzielt. Der Aufenthalt in Terrorcamps wird künftig unter Strafe gestellt. Wir können doch nicht warten, bis die Straftat begangen ist. Die Behörden müssen eingreifen können, sobald sich jemand darauf vorbereitet, einen Anschlag zu begehen. Eines Anschlagsvorsatzes bedarf es dabei nicht. Ich rechne damit, dass dieses Gesetz in den nächsten Wochen vom Kabinett verabschiedet wird.

Münchner Merkur: Im Kampf gegen den Terror soll die Bundeswehr künftig auch im Landesinneren herangezogen werden können. Für welche Fälle ist die geplante Grundgesetzänderung gedacht?

Schäuble: Geplant ist, künftig im Rahmen der Amtshilfe für die Länderpolizeien auch den Einsatz militärischer Mittel zuzulassen – bei ernsten Gefahren und Notlagen, das kann auch ein Terroranschlag sein. Es geht dabei allein um die polizeiliche Gefahrenabwehr.

Münchner Merkur: Damit wäre es auch möglich, ein von Terroristen besetztes Flugzeug abzuschießen, das als Waffe eingesetzt wird. Könnten Sie sich vorstellen, je einen solchen Befehl zu geben?

Schäuble: Der damalige Verteidigungsminister Georg Leber erinnerte in seinen Memoiren an die Abschlussfeier der Olympischen Spiele von München am 11. September 1972, als wenige Tage nach dem Terroranschlag die Meldung kam, dass ein Flugzeug im Anflug auf das Olympiastadion sei und Bomben abgeworfen werden sollen. Zum Glück ist es dazu nicht gekommen. Ich hoffe, nie in die Situation zu kommen, eine solche Entscheidung treffen zu müssen. Und ich hoffe, dass es unseren Sicherheitsbehörden auch in Zukunft gelingt, zu verhindern, dass solche Angriffe überhaupt verübt werden.

Das Gespräch führte Holger Eichele.