Die Yachten und Villen werden nicht weniger



Finanzminister Wolfgang Schäuble spricht mit „Welt Online“ über den riskanten Kurs Papandreous sowie die internationale Finanztransaktionssteuer

Welt Online: Herr Minister, haben Sie noch Vertrauen in den griechischen Regierungschef Giorgos Papandreou?

Wolfgang Schäuble: Ja.

Welt Online: Sein Wunsch, in seinem Land ein Referendum über das Rettungspaket durchführen zu lassen, stürzt Europa in eine neue Krise.

Schäuble: Ich versuche immer, mich in die Lage eines anderen hineinzuversetzen. Papandreou muss mit enormen Widerständen leben, in der eigenen Partei, im Parlament und in der Bevölkerung. Es ist für viele Griechen schwer zu akzeptieren, dass vor allem die Durchschnittsbürger die Lasten tragen. Die Yachten und Villen scheinen hingegen nicht weniger zu werden. Die Entscheidung des Ministerpräsidenten, das griechische Volk über die Sparmaßnahmen abstimmen zu lassen, ist nicht ohne Risiko für ihn selbst. Wenn ein Volk in einem solchen Maß mit sich ringt, dann verdient das unseren Respekt.

Welt Online: Wenn Griechenland Nein sagt zum Rettungspaket und den damit verbundenen Reformen: Ist dann der Staatsbankrott unausweichlich?

Schäuble: Der Ausgang des Verfahrens ist offen. Die Verantwortlichen, auch die Opposition, müssen um die Zustimmung des Volkes ringen. Auf den Parlamentariern liegt eine große Verantwortung. Jetzt sollte niemand noch zusätzlich Verunsicherung schüren.

Welt Online: Was bedeutet diese Hängepartie für Europa?

Schäuble: Ich habe gleich am frühen Dienstagmorgen meinen griechischen Amtskollegen angerufen und ihm dringend geraten, die Verunsicherung der Bevölkerung und auf den Märkten möglichst kurz zu halten.

Welt Online: Die CSU hat Griechenland erneut den Austritt aus der Euro [Glossar]-Zone nahegelegt. Ist das Populismus oder inzwischen ein denkbares Szenario?

Schäuble: Jeder, der Mitglied der gemeinsamen Währung ist, übernimmt damit auch Pflichten. Die Euro-Zone funktioniert natürlich auch nicht ohne Solidarität – klar. Beide Aspekte sind immer miteinander verbunden. Das bedeutet, dass Hilfe immer Hilfe zur Selbsthilfe sein muss. Wir müssen jetzt abwarten und dann respektieren, wie sich das griechische Volk entscheidet. Dann sehen wir weiter.

Welt Online: Der Schuldenschnitt für Griechenland existiert bisher nur auf dem Papier. Können Sie garantieren, dass die Banken dem Beschluss des Euro-Gipfels folgen?

Schäuble: Ich rate den Banken zur gesunden Bewertung ihres eigenen Interesses. Gehen wir jetzt einfach mal davon aus, dass die Griechen Ja zum Sparpaket sagen, da es bei allen Härten die beste Chance bietet, Griechenland auf Dauer zu stabilisieren und wieder auf den Weg der wirtschaftlichen Gesundung zu führen. Wenn es uns dann gelingt, die griechische Verschuldung auf eine dauerhaft tragfähige Grundlage zu stellen, ist das im Interesse aller Gläubiger. Das ist eine gute Grundlage für die anstehenden Verhandlungen mit den Banken.

Welt Online: Wann wird die europäische Finanzkrise frühestens beendet sein? Reden wir von eher fünf oder 50 Jahren?

Schäuble: Man wird in einer dynamischen marktwirtschaftlichen Entwicklung niemals ganz Rückschläge vermeiden können. Wenn wir die griechische Schuldenlast auf eine tragfähige Grundlage gestellt haben, können wir die europäische Finanzkrise relativ schnell überwinden. Wenn dann auch andere Euro-Länder die Finanzmärkte [Glossar] durch konkrete Handlungen davon überzeugen, dass sie weiter solvente Schuldner bleiben, und auch sonst ein jeder seinen Beitrag zur Stabilität der Euro-Zone leistet, dann kann die Krise bald Geschichte sein.

Wer diese Herausforderungen nicht aus eigener Kraft bewältigen kann, dem muss geholfen werden. Portugal und Irland machen so gute Fortschritte. Ich bin mir sicher: Der Euro wird auch in Zukunft als Weltreservewährung eine große Rolle spielen, und er wird eine stabile Währung bleiben, wie er es seit seiner Einführung ist. Und man darf auch eines nicht vergessen: Die durchschnittliche Verschuldung in der Euro-Zone ist im Vergleich zu anderen großen Wirtschaftsnationen noch übersichtlich.

Welt Online: Der G-20-Gipfel in Cannes könnte für Europa eine gute Chance sein, weitere Anleger für den vergrößerten Euro-Rettungsschirm zu gewinnen. Wen hätten Sie gern dabei?

Schäuble: Beim G-20-Gipfel veranstalten wir keine Investoren-Roadshow für den Euro-Rettungsschirm. Unsere Aufgabe ist es, den Investoren vernünftige Rahmenbedingungen für ihre Investitionen [Glossar] zu liefern. Sicherheit, Verlässlichkeit, Vertrauen und eine anständige Rendite. Wäre ich Investor, würde ich immer in Europa investieren. Das bedeutet natürlich auch: Wer auch immer angesichts der attraktiven Investitionsbedingungen Interesse hat, in Europa zu investieren, ist willkommen.

Welt Online: Auch China?

Schäuble: Natürlich auch China.

Welt Online: Der G-20-Gipfel hat zum Ziel, die Finanzmärkte stärker an die Kandare zu nehmen. Wird die Welt nach dem Gipfel gerechter sein?

Schäuble: Wir haben im G-20-Prozess schon beachtliche Erfolge in der Regulierung der Finanzmärkte erzielt. Aber ich bin mir sicher, dass auch nach dem Gipfel in Cannes noch Fragen zu klären sein werden.

Welt Online: Welche Ergebnisse sind aus deutscher Sicht besonders wichtig?

Schäuble: Wir müssen bei der Finanzmarktregulierung weiter vorangehen. Es gilt weiterhin: Es darf in Zukunft kein Akteur, kein Markt und kein Produkt ohne Regulierung sein. Wir müssen auch konsequent dafür sorgen, dass die Beschlüsse von Toronto, in denen alle Staaten erklärt haben, bis nächstes Jahr ihr Defizit [Glossar] halbieren zu wollen, auch wirklich umgesetzt werden.

Die hohen Staatsschulden sind eines der Kernprobleme, das wir alle angehen müssen. Deutschland wird das schaffen, ebenso Großbritannien und Kanada – wahrscheinlich sogar Italien. Bei den anderen müssen wir sehen. Daneben muss das Weltwährungssystem stabiler und weniger krisenanfällig werden. Die lokalen Märkte müssen gestärkt werden, damit in den Schwellenländern die Abhängigkeit von volatilen Kapitalströmen verringert wird. Und wir werden sehen müssen, wie wir den Währungskorb des IWF erweitern. Dafür müsste aber vor allem die chinesische Währung zunächst wirklich konvertibel werden. Dann würde sie sicherlich auch schnell eine führende Weltreservewährung.

Welt Online: Wann kommt die internationale Finanztransaktionssteuer?

Schäuble: Wir wollen in Cannes mit Nachdruck daran arbeiten. Wenn wir keine Regelung auf G-20-Ebene erreichen, müssen wir vielleicht noch einmal mit unseren Freunden jenseits des Atlantiks sprechen. Auf jeden Fall werden wir nächsten Dienstag in Brüssel bei dem Treffen der Finanzminister die Debatte beginnen, wie wir die Finanztransaktionssteuer möglichst bald in der EU einführen können.

Sollten diese Beratungen nicht in absehbarer Zeit zu einem Erfolg führen, dann sollten wir darüber nachdenken, die Finanztransaktionssteuer in der Euro-Zone einführen. Wir wollen das Thema nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Wir brauchen dringend eine Entscheidung.

Das Interview führten K. Kammholz und B. Röttger.

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