Die große Mehrheit ist für Europa



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Südkurier

Südkurier: Herr Schäuble, die Politik hat so viel unternommen, um die Finanzmärkte[Glossar] zu beruhigen. Trotzdem gab es wieder eine Riesen-Aufregung wegen Frankreich, das von einer Rating-Agentur versehentlich heruntergestuft worden war. Wieso gelingt es nicht, mehr Vertrauen in den Euro [Glossar] herzustellen?

Schäuble: Die Märkte leben ein Stück weit davon, dass sie unruhig sind. Was bei S&P in Bezug auf das Rating von Frankreich passiert ist, ist eine sehr ärgerliche Panne. Aber man darf sich von so etwas nicht verrückt machen lassen.

Südkurier: Aber die Panne zeigt doch, dass ein gewisses Misstrauen da ist. Es gibt noch keine Überzeugung, dass die Krise ausgestanden ist.

Schäuble: Die Krise ist auch nicht ausgestanden. Aber wir sind auf dem Weg, sie zu lösen. Sie sehen ja, wir kommen in den Ländern, in denen die Ursachen liegen, Schritt für Schritt voran, so wie z.B. in Griechenland. Es scheint jetzt Hoffnung zu geben, dass sich die großen politischen Kräfte geschlossen hinter die Maßnahmen stellen, die erforderlich sind, damit Griechenland wieder wirtschaftlich gesundet und Hilfen bekommen kann.

Südkurier: Und in Italien?

Schäuble: Die Abstimmung im Parlament ist positiv verlaufen, das Sparprogramm ist beschlossen. Das wird Vertrauen schaffen, insbesondere, wenn es gelingt, in Italien möglichst rasch eine stabile Regierung zu bilden. Da müssen halt – so wie in Griechenland auch – gelegentlich Parteien und Politiker ihre eigenen Interessen zugunsten der Verantwortung für das Gemeinsame zurückstellen.

Südkurier: Trauen Sie Italien nach dem Rücktritt von Berlusconi zu, die Probleme strukturell in den Griff zu bekommen?

Schäuble: Ja klar. Italien ist in einer ökonomisch völlig anderen Lage als beispielsweise Griechenland. Italien hat eine stabile Wirtschaft und eine leistungsfähige Industrie. Italien hat sein Defizit [Glossar] reduziert. Es gehört zu den Ländern, die ihre Verpflichtung vom G2O-Gipfel in Toronto, ihr Defizit bis 2013 zu halbieren, einhalten werden – so wie Deutschland, wie Großbritannien, aber wie leider nicht alle anderen Länder. Italien hat zwar eine hohe Gesamtverschuldung, aber sie ist in hohem Ausmaß durch Inlandsersparnisse gedeckt. Das heißt, die Auslandsverschuldung Italiens ist verglichen mit anderen Ländern nicht so hoch. Die italienischen Probleme sind beherrschbar, die Beunruhigung der Märkte ist spekulativ. Sie hatte mit mangelndem Vertrauen in die politischen Entscheidungsprozesse des Landes zu tun.

Südkurier: Und die griechischen Probleme? Wie beherrschbar sind sie?

Schäuble: Griechenland wird vermutlich ein Jahrzehnt brauchen, um wieder wirklich wettbewerbsfähig zu werden und das notwendige Wachstum zu produzieren.
Das ist das Ziel des Programms, das die Staats- und Regierungschefs der Eurozone [Glossar]in der Nacht zum 27. Oktober verabredet haben. Die Reduzierung der Schulden durch die Beteiligung des Privatsektors, die verabredeten harten Reformmaßnahmen in Griechenland und die Hilfe durch die Staaten der Eurozone sollten es Griechenland ermöglichen bis 2020 wieder auf eigenen Beinen zu stehen.

Südkurier: Das bedeutet Sparmaßnahmen, die die Bevölkerung hart treffen werden.

Schäuble: Ja, Griechenland muss massive strukturelle Reformen durchsetzen. Der bisherige Ministerpräsident Papandreou hat gesagt: Griechenland muss seine Gewohnheiten grundlegend ändern. Viel leicht hat man dort unterschätzt, dass eine gemeinsame Währung trotz aller Vorzüge die beteiligten Volkswirtschaften unter einen starken Druck der Wettbewerbsfähigkeit setzt. Man kann Versäumnisse nicht mehr durch Währungsmanipulationen verdecken. Wir haben das in Deutschland ja auch einmal erlebt. Als im Sommer 1990 in der DDR die D-Mark eingeführt wurde, war die Wirtschaft dort von einer Sekunde auf die andere nicht mehr wettbewerbsfähig. Einem ähnlichen Druck muss sich Griechenland jetzt stellen. Das ist für die Bevölkerung hart. Aber es hilft nichts: Das muss Griechenland leisten. Es ist der Preis, in einer gemeinsamen Währung zu sein.

Südkurier: Brauchen wir zur Vermeidung künftiger Krisen eine gemeinsame Finanzpolitik[Glossar] in Europa? Und ist es realistisch, dass die Mitgliedsstaaten eine so zentrale Hoheit an Europa abgeben?

Schäuble: Als wir die Währungsunion gegründet haben, war es damals nicht möglich, in Europa auch die politische Union zu schaffen – was wir wollten. Deshalb haben wir denStabilitäts- und Wachstumspakt [Glossar] geschaffen und gesagt: Jedes Land verpflichtet sich, Grenzen seiner Finanzpolitik zu respektieren. Es war klar: Man kann nicht nur dieGeldpolitik [Glossar] vergemeinschaften und gleichzeitig macht jedes Land weiter völlig frei die Finanzpolitik für sich. Finanz- und Geldpolitik müssen zusammenwirken. Aber der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist nicht eingehalten worden. Übrigens zuerst von Deutschland und Frankreich. Er wurde 2004 massiv verletzt. Deswegen brauchen wir keine Belehrungen von den Sozialdemokraten.

Südkurier: Allein an der rot-grünen Regierung in Deutschland ist der Stabilitätspakt wohl kaum gescheitert…

Schäuble: In der Verflechtung von Finanzkrise und immer schnellerer Beunruhigung der Märkte, die wir seit der Lehman- Pleite 2008 erleben, wurde klar, dass er nicht ausreicht. Deswegen müssen wir jetzt neben der gemeinsamen Geldpolitik, die in den Händen der unabhängigen Europäischen Zentralbank [Glossar] liegt, einen verbindlichen Rahmen einführen, den die Finanzpolitiker der Mitgliedstaaten einhalten müssen. Wichtig wird dabei sein, dass die eingegangenen Verpflichtungen auch wirksam umgesetzt werden. Dazu muss jedes Land Kompetenzen an Europa übertragen. Sonst funktioniert die gemeinsame Währung auf Dauer nicht.

Südkurier: Was halten Sie von der Idee, auf eine Kern-Eurozone zurückzugehen und für die Problemländer wieder nationale Währungen einzuführen?

Schäuble: Ich halte von solchen Spekulationen gar nichts. Die führen nur ins Elend.

Südkurier: Und was ist mit einer Rückkehr zur D-Mark?

Schäuble: Hier in der Grenzregion kann man ja sehen, was passieren würde, wenn wir wieder zur D-Mark zurückkehren würden. Schauen Sie sich die Probleme der Schweiz an. Die gemeinsame Währung ist für uns alle von riesigem Vorteil. Ohne die Währungsunion hätten wir ganz andere Probleme. Wir haben in Deutschland die geringste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa. Unser wirtschaftlicher Erfolg hat entscheidend mit unserer Exportstärke zu tun. Darauf sind wir existenziell angewiesen. Wir könnten unseren Lebensstandard und unsere soziale Sicherung auch nicht annähernd erhalten, wenn wir auf den Exportmärkten nicht so erfolgreich wären. Dazu ist die wirtschaftliche Integration Europas eine entscheidende Voraussetzung. Wir alle in Europa sind für uns allein genommen viel zu klein, um in der globalisierten Welt unsere Interessen wirksam wahrnehmen zu können. Wir brauchen ein gemeinsames, handlungsfähiges, starkes Europa.

Südkurier: Die Bundeskanzlerin sagt: Scheitert der Euro, scheitert Europa. Würden Sie auch so weit gehen?

Schäuble: Ich halte den Satz für absolut richtig.

Südkurier: Aber Sie brauchen politische Unterstützung für diesen Kurs. Ist sie in Deutschland gewährleistet?

Schäuble: Darum muss man sich immer wieder bemühen. Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Deutschen pro-europäisch ist. Natürlich haben viele Sorgen wegen der Ereignisse an den Finanzmärkten. Das verunsichert die Menschen. Aber wenn sie vor die Frage gestellt werden, was die Alternativen sind, bin ich zuversichtlich. Deutschland weiß, dass die europäische Einigung die Voraussetzung dafür ist, dass wir in dem halben Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg dieses Glück erleben konnten. Europa ist die beste Vorsorge für das nächste halbe Jahrhundert.

Südkurier: Es gärt ja auch im Bauch der FDP. Können Sie sich in der Europa-Politik auf Ihren Koalitionspartner verlassen?

Schäuble: Die FDP macht einen Mitgliederentscheid. Ich bin ganz zuversichtlich, dass die FDP-Mitglieder den traditionellen proeuropäischen Kurs bestätigen werden. In der CDU hieß es vor ein paar Monaten auch, der Schäuble sei der letzte Pro-Europäer aus dem vergangenen Jahrhundert, romantisch und ziemlich isoliert. Beobachten Sie unseren Parteitag in Leipzig. Sie werden sehen, die CDU ist die Europa-Partei. Sie ist es immer gewesen und sie bleibt es auch.

Das Interview führten Dieter Löffler und Peter Ludäscher.

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