Der Islam ist Teil unseres Landes



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Cicero

Das Gespräch führten Michael Naumann und Gunter Hofmann.

Cicero: Herr Minister, die Deutschen wenden sich von der Politik ab. In Hamburg haben nur 57 Prozent der Wähler ihre Freiheit wahrgenommen zu wählen. Das ist ein Negativrekord und bestürzend wenig. Tragen die Politiker oder die Medien Verantwortung für derlei Wahlabstinenz? Oder glauben die Menschen, es sei ja alles in Ordnung, wozu also wählen?

BM Schäuble: Die feste Bindung an politische Parteien nimmt bei einem wachsenden Teil unserer Bevölkerung ab. Auch ein Großteil der vielen Millionen Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund interessiert sich nur sehr begrenzt für Parteien und Wahlen. Das ist auf kommunaler Ebene nicht anders. Ich habe vor einiger Zeit gelesen, dass ein Mann, der zwei Jahrzehnte lang in einem Gemeinderat in einem kleinen Städtchen meiner Heimat gesessen hatte, einer Lokalzeitung sagte: „Es war eine schöne Zeit.“ Aber dann folgte ein Satz, der mich sehr traurig gemacht hat: Wissen Sie, sagte er, am Ende interessierten sich die Menschen für Kommunalpolitik im Dorf nur, wenn sie selber betroffen sind. Er hatte recht. Insofern ist Wahlabstinenz vielleicht ein Zeichen dafür, dass es den Menschen gut geht. Wenn es einigermaßen in Wirtschaft und Politik läuft, fühlt sich ein wachsender Teil dieser Gesellschaft nicht mehr angesprochen. Und es gibt andere, die – wenn ihnen etwas ganz gegen den Strich geht wie „Stuttgart 21″ – plötzlich die feste Überzeugung haben, sie müssten entscheiden und nur sie, nach dem Motto: Wir sind das Volk. Und wenn man dann wagt zu fragen, ob sie denn auch eine richtige Legitimation für eine Entscheidung hätten, dann gilt das als politische Arroganz. Die Verhältnisse in unserer globalisierten Welt sind so, dass sich leider viele Menschen nur noch situativ und nur partiell politisch interessieren.

Cicero: Für Politiker wird das Leben damit nicht leichter.

BM Schäuble: Nun, „Stuttgart 21″ ist eine neue Erfahrung, die mich sehr nachdenklich macht. Es hat sich gezeigt, dass unsere parlamentarischen Entscheidungsprozesse manchmal nicht ausreichen, um hinreichend Vertrauen zu stiften. Aber die freiheitliche Gesellschaft lernt ja permanent angesichts von Fehlentwicklungen und korrigiert sich selbst. Deswegen glaube ich, dass wir auch neue Formen der politischen Teilnahme finden. Das ist doch auch ermutigend. Und Heiner Geißlers Einsatz hat gezeigt, dass das geht.

Cicero: Vielleicht treibt die protestierenden Bürger, neuerdings Wutbürger genannt, auch das Gefühl, dass die Politik nichts mehr steuern kann?

BM Schäuble: Gott sei Dank kann die Politik nicht alles steuern. Es war immer schlimm, wenn die Politiker überzeugt waren, sie allein könnten steuern. Sie können es nicht, das glauben ja nicht einmal mehr die Sozialdemokraten.

Cicero: Helmut Schmidt glaubte das aber.

BM Schäuble: Nein, ich habe es so wahrgenommen, dass er meinte, es ginge allenfalls darum, ein Stück weit „angemessen zu verwalten“. Das ist auch eine hohe Kunst, und er hatte seine Verdienste. Die Politik kann ein bisschen was, aber sie kann, Gott sei Dank, gar nicht so viel. Das ist eine Bedingung von Freiheit. Und noch einmal, was die Wahlbeteiligungen betrifft – wenn nur ein abnehmender Teil der Bevölkerung entscheidet, dann entscheiden eben die, die sich interessieren. Es ist die Aufgabe derjenigen, die Mehrheiten für Entscheidungen beschaffen müssen, also der Politiker und ihrer Parteien, die Menschen zunächst davon zu überzeugen, dass sie sich überhaupt für die Entscheidungen interessieren. Das geht heutzutage mit anderen Mechanismen als früher. Wir lernen alle, insbesondere die Älteren, dass das Internet die Welt völlig verändert.

Cicero: Stimmt Sie die Modernisierung und Beschleunigung des politischen Prozesses via Internet – denken Sie an das Schicksal Guttenbergs, vom Internet gleichsam gestürzt – pessimistisch?

BM Schäuble: Nein, ich bin ein hoffnungslos optimistischer Mensch. Und ich wehre mich einfach dagegen, den Fortgang der Geschichte als abfallende Kurve zu sehen. Ich versuche der Versuchung zu widerstehen, als älterer Politiker zu glauben, es würde alles schlechter. Noch leben wir zumindest in unserem Teil Europas in einer Zeit, die mehr denn je zuvor vergleichbar gute Lebensmöglichkeiten bietet. Warum sollen wir jetzt anfangen, nostalgisch zu werden?

Cicero: Nun, im Rückblick auf die vergangenen Jahrzehnte könnte man schon sagen, dass politische Gestaltung wesentlich schwieriger, komplexer geworden ist – zumal für einen Finanzminister.

BM Schäuble: Natürlich sind wir in weltweite, komplexe Entwicklungen eingespannt und davon abhängig. Es wird uns auch in einem Maße bewusst, wie das früher nicht der Fall war. Das gilt besonders für die Finanzpolitik [Glossar] im engeren Sinne. So muss die Bundesrepublik Deutschland jeden Tag im Rahmen unserer Schuldenverwaltung im Durchschnitt etwa eine Milliarde Euro [Glossar] an Anleihen neu auflegen. Und die muss uns irgendwo auf der Welt jemand abkaufen.

Cicero: Dennoch zeigt sich in der Finanz- und Europapolitik, dass die Ohnmacht der Exekutive weiter gestiegen ist. Das finanzpolitische Steuer [Glossar] Europas liegt doch schon längst in fremden Händen – jedenfalls nicht bei den Finanzministern.

BM Schäuble: Die Bundeskanzlerin hat nie einen Zweifel daran gelassen: Diese Bundesregierung und sie persönlich werden alles tun, damit das, was wir berechtigterweise verlangen müssen für die Stabilität unserer gemeinsamen Währung, auch durchgesetzt wird. Das haben wir zu jedem Zeitpunkt klargemacht. Denn es ist in unserem ureigenen Interesse, die gemeinsame europäische Währung zu verteidigen.

Cicero: Voriges Jahr war das nicht so klar. Zwei Monate lang haben wir Anfang 2010 ressentimentgeladene Schlagzeilen der „Bild“ -Zeitung gegen das hoch verschuldete Griechenland gelesen – es ging um die finanziellen Rettungsschirme für Athen. Und die Kanzlerin zögerte die Hilfszusagen hinaus. Warum?

BM Schäuble: Tatsache ist, wir haben bis Anfang Mai 2010 ein Hilfspaket für Griechenland mit 110 Milliarden Euro in Form von Krediten zur Verfügung gestellt, darunter den deutschen Anteil über die KfW.

Cicero: Aber Sie müssten die Kanzlerin drängen.

BM Schäuble: Als ich mit der Bundeskanzlerin Anfang vergangenen Jahres darüber diskutiert habe, war es offensichtlich, dass wir in dieser Sache anfangs nicht hundertprozentig dieselbe Meinung teilten. Ihr Argument lautete: Ich muss für das Rettungspaket Mehrheiten im Parlament haben, und dazu brauche ich Zeit, ich muss auch die Bevölkerung überzeugen. Ein Finanzminister kann zwar insoweit ein Stück vorangehen, aber dann muss ein Regierungschef schauen, dass die notwendigen Mehrheiten zusammenkommen. Insofern ist das ein Stück weit ein Spiel mit verteilten Rollen. Am Ende hat die Bundeskanzlerin es geschafft. Der europäische Hilfsfonds von 750 Milliarden Euro kam dann schnell zustande.

Cicero: Aber die Nutzungsbedingungen für die prekären Staaten, ob Griechenland oder Irland, wurden verschärft. Und die anderen Europäer haben sofort gesagt, die Deutschen wollen jetzt ein deutsches Europa.

BM Schäuble: Eine solche Kritik ist nicht berechtigt. Schauen Sie, wir sind wirtschaftlich die erfolgreichste und die größte Nation in Europa. Das legt uns große Zurückhaltung nahe, im Stil und vielleicht sogar manchmal in der Sache. In beidem findet die Bundeskanzlerin genau das richtige Maß. Im Interesse Deutschlands und im Interesse Europas.

Cicero: Nicht ganz so heftig wie Peer Steinbrück?

Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinem Vorgänger Steinbrück, aber die Art, wie er kleinere Nachbarn in Europa behandelt hat, ist nicht die meine. Der Norddeutsche hat eine andere Art von Humor als der Süddeutsche. Ich als Süddeutscher mache das anders, dafür verstehen mich dann möglicherweise andere in Deutschland nicht immer. Aber wir müssen als Deutsche in Europa mit allerlei Kritik leben. Es wird immer heißen: „Na ja, die Deutschen.“ Wie gesagt: Angela Merkel hat ihren eigenen Stil, der erfolgreich ist und der sich ganz sicher nicht dazu eignet, sie in Europa als eine Regierungschefin darzustellen, die sich ohne Rücksicht auf andere brutal durchsetzt. Das ist nicht ihre Art.

Cicero: Die Finanzkrise Europas ist nicht vorbei. Ist der Euro zu retten – und wenn ja, Herr Minister, wie?

BM Schäuble: Der Euro ist eine stabile Währung. Schon die Frage, ob er zu retten ist, impliziert ja, er sei wirklich gefährdet. Dies ist aber nicht der Fall.

Cicero: …für Gesamteuropa, und das heißt auch für Griechenland oder Portugal und Irland?

BM Schäuble: Wenn einige Ökonomieprofessoren dafür plädieren, dass einzelne Länder aus der Eurogruppe ausscheiden sollten, dann fehlt mir eine halbwegs überzeugende Antwort, wie das funktionieren soll, ohne dass die Europäische Währungsunion als Ganzes im Urteil derFinanzmärkte [Glossar] auseinanderbricht. Nein, wir brauchen einen Mechanismus, der die Einhaltung gemeinsamer Regeln besser gewährleistet. Wir müssen deshalb daran arbeiten, die zu großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in ihrer Wettbewerbsfähigkeit abzubauen, Stichwort „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“. Außerdem müssen wir uns immer wieder klarmachen, dass wir am Ende unsere gemeinsame Währung verteidigen müssen. Und nach den deutlichen Erklärungen der Bundeskanzlerin, des französischen Staatspräsidenten und anderer wichtiger Akteure zweifeln die Finanzmärkte auch nicht mehr daran, dass der Euro verteidigt wird. Mich hat ein Amerikaner vor einiger Zeit gefragt, ob ich auf die Zukunft des Euro in zehn Jahren wetten würde. Da habe ich geantwortet, wenn ich Amerikaner wäre, würde ich mir über die Frage, wo der Dollar in zehn Jahren steht, sehr viel mehr Sorgen machen als über die Zukunft des Euro.

Cicero: Warum haben Sie die Euro-Bonds-Vorschläge Junckers nicht aufgegriffen? Das entspräche doch eigentlich Ihrer Logik, dass man den nächsten Schritt nach vorne gehen muss in Europa, wenn man den Schritt zurück nicht gehen möchte und auch nicht kann?

BM Schäuble: Ich bleibe dabei: Wir können auf den Mechanismus unterschiedlicher Zinsen bei Staatsanleihen nicht verzichten. Es gibt im Moment keinen anderen wirksamen Ansatz, um mit dem Problem der individuellen Staatsverschuldung umzugehen. Deshalb: Wer nicht solide wirtschaftet, zahlt höhere Zinsen auf seine Staatsanleihen, wer solide wirtschaftet, zahlt niedrigere Zinsen.

Cicero:…na ja, das erklärt doch die Reaktion unserer Nachbarn: „Das ist mal wieder das deutsche Europa!“

BM Schäuble: Die Bundeskanzlerin und ich waren von Anfang an derselben Meinung: Wir brauchen in der europäischen Währungsunion gemeinsame Regeln für ein geordnetes Restrukturierungsverfahren für Staaten, die ihrer extensiven Staatsverschuldung nicht mehr Herr werden können. Das ist im Europäischen Rat gegen alle anfängliche Skepsis beschlossen worden. Dies ist auch ein Beleg dafür, dass es das gemeinsame – nicht allein deutsche -Ziel in Europa gibt, die Regeln und Mechanismen in der Währungsunion weiter zu verbessern. Und diese neuen Regeln werden nun Schritt für Schritt umgesetzt. Deswegen bin ich ganz zuversichtlich: Der Euro wird eine der stabilen großen Weltwährungen bleiben.

Cicero: Aber in der Zwischenzeit öffnen Triebet und die Europäische Zentralbank Notausgänge für die überschuldeten Staaten wie Griechenland und andere mit dem Kauf von Staatsanleihen, von denen man nicht genau weiß, was deren finanzpolitische Konsequenzen eigentlich sind. Wenn eine Bank faule Kredite in Höhe von vielen Milliarden Euro vergibt, dann ist sie irgendwann illiquide. Wie soll das weitergehen?

BM Schäuble: Ich habe vollstes Vertrauen, dass die EZB [Glossar] sich stets ihrer Verantwortung für den Euro bewusst ist und entsprechend danach handelt. Die politische Unabhängigkeit der EZB war und ist zentrales Element des bisherigen und zukünftigen Erfolgs der Europäischen Währungsunion. Deshalb könnten Sie diese Frage auch dem EZB-Präsidenten Trichet stellen.

Cicero: Wir sind sicher, dass er eine tolle Erklärung hat…

BM Schäuble: Natürlich kann man darüber diskutieren. Und auch der Kreis der Finanzminister tut das. Aber wir sind der Auffassung, dass die Notenbanken, die die Verantwortung für die Stabilität des Geldes tragen, unabhängig bleiben müssen, wie die EZB es ist. Und dabei bleibt es.

Cicero: Wird es am Ende doch noch einen europäischen Finanzminister geben, der die Kontrolle über das haushalts- und finanzpolitische Gebaren der Euroländer ausübt?

BM Schäuble: Es steht noch nicht fest, wie genau die europäischen Stabilisierungsmechanismen aussehen werden. Ich glaube, dass wir mit dem, was wir für den Europäischen Rat Ende März vorbereiten, wichtige Schritte in eine vernünftige Richtung machen. Entscheidend ist, dass wir damit das Vertrauen in den Euro nachhaltig stärken.

Cicero: Und die langfristige Idee dabei ist, wenn wir Sie richtig verstehen, eine verstärkte, integrierte politische Union.

BM Schäuble: Natürlich, langfristig ist das auch ein Prozess hin zu stärkerer politischer Integration.

Cicero: Also doch ein europäischer Bundesstaat? Ist es das, was Sie anstreben?

BM Schäuble: Diese Begriffe: Bundesstaat, Staatenbund – sie sind längst überholt, das hat auch das Verfassungsgericht schon im Maastricht-Urteil verstanden.

Cicero: Deutschland ist, Stichwort „Länderfinanzausgleich“, eine Transferunion. Dasselbe Modell müsste eigentlich, wenn es so etwas gäbe wie einen europäischen Gesamtenthusiasmus, auch europaweit funktionieren.

BM Schäuble: Klar ist: Solidarität kann es nicht nur in eine Richtung geben. Alle müssen ihren Teil dazu beitragen, dass die Erfolgsgeschichte der Europäischen Union fortgeschrieben wird. Grundsätzlich braucht jede Gemeinschaft einen gewissen Ausgleich zwischen Stärkeren und Schwächeren. Und es muss uns auch in Europa gelingen, eine Form von Ausgleich zu finden. Der deutsche Länderfinanzausgleich ist dabei kein Vorbild für Europa. Das ist und bleibt ein mühsamer Prozess. Wir haben schon in den fünfziger Jahren, als der erste europäische Elan der Nachkriegszeit ein bisschen schwächer geworden war, eine politische Union gründen wollen, die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Die ist seinerzeit in Frankreich in der Nationalversammlung gescheitert. Dann folgte die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Die Wirtschaft geht voran und anderes folgt nach. Auch die Währungsunion ist ein Schritt nach vorne, und sie zieht notwendigerweise auch politische Integrationsschritte nach sich. Aber als die Bundeskanzlerin eine begrenzte Vertragsänderung vorschlug, war die Skepsis, auch im Europäischen Parlament, groß – schon wieder eine Vertragsänderung, hieß es, wie sollen wir das hinkriegen? In der Geschichte muss man auch den rechten Zeitpunkt finden, zu dem Fortschritte möglich sind.

Cicero: Heißt das nicht: Man braucht eine Krise, um mit Europa voranzukommen?

BM Schäuble: Sie können jedenfalls keine Europapolitik machen, wenn es Ihnen nicht gelingt, die Bevölkerung von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. Diese Überzeugungsarbeit ist Aufgabe der demokratischen Institutionen. Dazu braucht man manchmal Charisma, wie es zum Beispiel auch Karl-Theodor zu Guttenberg in einem hohen Maße zur Verfügung stand . . . . .

Cicero: …fanden Sie?

BM Schäuble: Nun, in so kurzer Zeit eine Entscheidung zustande zu bringen, die Wehrpflicht auszusetzen, das hätten Sie doch nicht vielen zugetraut.

Cicero: Uns ist ein Land, in dem keine Cbarismatiker benötigt werden, wesentlich lieber als umgekehrt.

BM Schäuble: Das ist richtig, das spricht aber nicht gegen Guttenberg.

Cicero: Ihr Nachnachfolger im Innenministerium, Hans-Peter Friedrich, hat sich als Segregationsminister mit der Bemerkung eingeführt, dass der „Islam historisch nicht zu Deutschland gehört“. Das fügt sich in die Sarrazin-These „Deutschland schafft sieb ab“ fast nahtlos ein. Wie beurteilen Sie die Herkunft und die Qualität dieser bisweilen auch ans Hysterische grenzenden Einschätzung der Integrationsfrage von Moslems?

BM Schäuble: Ich habe meine Meinung nicht geändert. Und ich bin froh, dass der Bundespräsident sich auch sehr früh am Beginn seiner Amtszeit in diese Richtung sehr klar geäußert hat.

Cicero: Komisch, dass die Aufregung über seinen Satz, dass der Islam zu Deutschland gehöre, wesentlich höher ausfiel als über ihre zweifellos etwas komplexeren Reden und Texte, die das Gleiche sagten.

BM Schäuble: Na ja, er ist der Bundespräsident und ich war der Bundesinnenminister. Meine Überzeugung war und ist jedoch, dass die Mobilität mit der Globalisierung [Glossar] Hand in Hand geht. Wir werden eher dann eine gute Zukunft haben, wenn es uns gelingt, die innere Kraft von Religion im Sinne von pluralistischer Demokratie zu nutzen, die ja auf eine Werteorientierung nicht verzichten kann. Wir haben deshalb jedes Interesse daran zu sagen, der Islam ist ein Teil unseres Landes, und die Muslime einzuladen, mit uns die Fortschritte, die wir im Abendland erzielt haben, wertzuschätzen. Ich bin überzeugt: Wir können Religion, Glaube und freiheitliche Demokratie und die Universalität der Menschenrechte miteinander vereinbaren. Deswegen habe ich mich damals nach reiflicher Überlegung zu meiner Position entschieden, wissend, dass ich meiner Partei am Anfang eine Menge zugemutet habe. Denn auch in meiner eigenen Partei war damals der Zweifel groß.

Cicero: Fragen Sie sich nicht angesichts der enormen Resonanz, die Ihilo Sarrazins Buch ausgelöst hat, ob die Ansätze und Erfolge, die Sie als Innenminister in der Integrationspolitik erzielt haben, durch einen breiten Sarrazinismus aufgehoben werden?

BM Schäuble: Nein, das denke ich nicht. Aber ich meine, dass wir auf Sarrazin falsch reagiert haben. Wir haben ihm erst diese Bedeutung gegeben, die er selbst vielleicht gar nicht erwartet hat. Meine persönliche Erfahrung auf öffentlichen Veranstaltungen ist eine andere. Dort ernte ich kaum Widerspruch, wenn ich den Menschen erkläre, dass es in unserem Interesse ist, offen zu sein, und wir zugewanderten Menschen helfen sollten, sich hier zurechtzufinden. Natürlich müssen diese auch eigene Anstrengungen unternehmen. Es geht nicht darum, die Probleme einfach vom Tisch zu wischen.

Cicero: Aber es bleibt doch ärgerlich, dass ein türkischer Premier seinen ehemaligen Landsleuten in Deutschland zuruft: Zunächst einmal lernt ihr hier Türkisch und dann erst Deutsch.

BM Schäuble: Ja, aber der türkische Ministerpräsident macht Wahlkampf, und er ist dabei ziemlich erfolgreich. Ich meine, das Maß an Stabilität, das er der Türkei demokratisch verschafft hat, ist auch eindrucksvoll. Bisher hat er nicht, auch seine Partei nicht, den Vermutungen recht gegeben, wir hätten es hier nur mit im Schafspelz verkappten Wölfen zu tun, die unter dem Gewand einer demokratischen Grundeinstellung eigentlich den Fundamentalismus in der Türkei etablieren wollen. Natürlich helfen uns seine Bemerkungen in unseren Integrationsbemühungen nicht. Aber wir, die schon länger hier leben, sollten denjenigen, die später gekommen sind, zunächst einmal ein Stück Vorschuss gewähren. Wenn Sie beobachten, wie sich insbesondere junge Frauen aus traditionell orientierten türkischen Familien durchsetzen gegen den Widerstand ihrer Familien und was da für eine Power in dieser jungen Generation steckt, dann kann man sich doch nur wundern – und freuen.

Cicero: Herr Minister, hinter uns liegt nun die Guttenberg-Affäre. Haben Sie sich nicht irgendwann gesagt, ich bin diese Art von Spektakeldemokratie leid?

BM Schäuble: Alles hat ein Ende, das ist mir schon klar. Aber im Augenblick bin ich den Aufgaben dieses Amtes gewachsen, und wie ich oft genug gesagt habe, macht es mir alles in allem Freude.

Das Gespräch führten Michael Naumann und Gunter Hofmann.

Alle Rechte: Cicero