Der Bundesfinanzminister im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung



Dr. Wolfgang Schäuble spricht in einem Interview über das Steuerabkommen mit der Schweiz, die Pendlerpauschale und die Krise um den Euro

Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ): Herr Schäuble, die Schweizer Haftbefehle gegen drei deutsche Steuerfahnder erhitzen die Gemüter. Warum sind Sie so ruhig?

BM Schäuble: Ich halte die Aufregung für falsch. Sie entspricht nicht unserer Verantwortung in Europa. Wir sind ein bisschen größer als die Schweiz, und es tut Deutschland gut, wenn es sich dementsprechend im Zweifelsfall eher zurückhält als aufregt. Wir wollen gute Nachbarn sein, im Innern wie nach außen dies hat schon der frühere SPD-Bundeskanzler Willy Brandt gesagt. Was im Augenblick einige SPD-Politiker von sich geben, ist das Gegenteil davon. Das kann nicht im Sinne des Geistes von Willy Brandt sein.

NOZ: Was werfen Sie der SPD konkret vor?

BM Schäuble: Die Tonart einiger SPD-Politiker ist nicht zuträglich. Wenn Willy Brandt noch leben würde, hätte er gesagt, genau so dürfen wir nicht in Europa auftreten. Es wird sehr genau beobachtet, mit einem sehr fein kalibrierten Sensorium, wie Deutschland mit kleineren Nachbarn umgeht. Deswegen war es schon nicht klug, als man von der Kavallerie vis-a-vis der Schweiz sprach und damit auch noch gleich andere kleinere Staaten in der Nachbarschaft an schlechte, sehr schlechte Zeiten erinnerte. Für das geplante Abkommen brauche ich die Zustimmung in Bundestag und Bundesrat. Natürlich muss man über die Inhalte des Abkommens reden und sie erläutern und erklären. Aber stattdessen wird hier eine Debatte geführt, die unserem Ansehen schadet.

NOZ: SPD-Chef Gabriel meint, das ab 2013 geltende Abkommen würde „Straftäter schützen“. Hat er recht?

BM Schäuble: Die Sozialdemokraten müssen aufhören, so zu tun, als sei Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ein Monopol [Glossar] der SPD. Die Schweiz ist ein urdemokratisches Land. Sie hat weitgehenden Schritten zugestimmt, Schritten, die für die Schweiz nun wirklich nicht leicht sind, wenn man sich die Bedeutung des Bankgeheimnisses in der Schweiz vor Augen führt. Zudem hat sie zugesagt, zurückliegende Steuerhinterziehung aufzuarbeiten. Und dafür wird sie jetzt auch noch beschimpft. Es gibt ein Rechtshilfeersuchen der Schweiz, die drei Beamten, die im Rahmen ihrer dienstlichen Pflichten daran beteiligt waren, Steuerhinterziehung aufzuklären, durch deutsche Stellen einzuvernehmen. Das muss jetzt von den deutschen Behörden geprüft werden. Vermutlich wird die Justiz diesem Ersuchen aber nicht nachkommen, denn das könnte sie nur dann, wenn die unterstellte Tat auch nach deutschem Recht strafbar wäre. Davon gehe ich nicht aus.

NOZ: Sie haben das Steuerabkommen durch ein Änderungsprotokoll beachtlich verschärft. Schweizer Banken sollen auf unversteuerte Altvermögen von deutschen Steuerhinterziehern statt 19 bis 34 Prozent jetzt 21 bis 41 Prozent an Deutschland überweisen. Bei Erbfällen fallen 50 Prozent an. Es gibt mehr Auskünfte. Der SPD reicht das noch nicht. Ist da noch ein Kompromiss möglich?

BM Schäuble: Natürlich ist aus deutscher Sicht die Forderung nachvollziehbar, dass die Schweiz alles offenlegt, alle Namen, alle Konten, alles. Aber die Schweizer Rechtslage ist eben anders. Die Schweizer haben ihren Kunden zugesichert, dass es ein Bankgeheimnis gibt. So etwas kann man in einem Rechtsstaat nicht einfach rückwirkend für null und nichtig erklären. Daher mussten wir einen Mittelweg finden, und die Schweiz bewegt sich jetzt in bisher nicht vorstellbarem Maße. Ich bin froh, dass die Schweiz trotz ihrer Rechtslage und trotz ihrer Traditionen so weit gegangen ist – es gibt wirklich keinen Anlass für Hochnäsigkeit von deutscher Seite. Das ist ein gutes Abkommen. Mit einer völligen steuerlichen Gleichbehandlung von Kapital für die Zukunft, egal ob es nun in Deutschland oder in der Schweiz liegt, und mit einer überzeugenden Lösung für die Vergangenheit, an die die meisten bisher noch nicht einmal zu denken wagten.

NOZ: Flauen die SPD-Proteste nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ab?

BM Schäuble: Die Äußerungen einiger SPD-Vertreter kann man wohl nur mit Wahlkampf erklären. Aber bald wird klar, was das Steuerabkommen Deutschland bringt. Die Schweizer Banken haben sich verpflichtet, vorab eine Vorauszahlung von zwei Milliarden Franken zu leisten. Die meisten Experten rechnen damit, dass durch die Pauschalsteuer auf Altvermögen ein Betrag von bis zu zehn Milliarden Euro zusammenkommt. Die Finanzminister der Bundesländer, die ja noch neulich bei der Soli-Diskussion einmal mehr auf ihren hohen Finanzbedarf verwiesen haben, müssten ohne Abkommen auf ihren nicht unerheblichen Anteil an dieser Einnahme verzichten. Ohne Steuerabkommen bekommen sie gar nichts.

NOZ: Braucht Deutschland mehr Steuerfahnder?

BM Schäuble: Ich werde den Ländern keine Ratschläge zu ihrer Personalpolitik geben, warne aber vor Milchmädchenrechnungen. Je mehr wir kontrollieren, desto besser wird es im Staat das stimmt nicht. Wir sollten es nicht übertreiben und hinter jeden Bürger einen anderen stellen, der ihn kontrolliert. Das ist nicht mein Verständnis von Freiheit und von einem Rechtsstaat.

NOZ: Die Union scheint für eine Erhöhung der Pendlerpauschale zunehmend offen zu sein. Wann geben Sie Ihren Widerstand auf?

BM Schäuble: Die Diskussion ist völlig irreführend. Die Entfernungspauschale ist kein Instrument, um Benzinpreisschwankungen aufzufangen. Die Spielräume in den Haushalten von Bund und Ländern sind eng begrenzt. Steuerlich sehe ich keine Möglichkeit, den Spritpreis zu senken.

NOZ: Unionsabgeordnete wollen eine Demografie-Rücklage. Jeder Deutsche soll vom 25. Lebensjahr an einkommensabhängig in eine Kapitalreserve einzahlen. Was halten Sie davon?

BM Schäuble: Der Grundgedanke, dass wir uns alle rechtzeitig darauf vorbereiten müssen, dass bei steigender Lebenserwartung und begrenzten Geburtenzahlen unsere sozialen Sicherungssysteme nachhaltig stabil bleiben, ist richtig. Es gibt keinen Grund, uns vor den neuen Herausforderungen zu fürchten. Aber wir müssen uns richtig aufstellen. Das tun wir ja auch, wie Sie aus dem Nachhaltigkeitsbericht, den wir ja erst kürzlich wieder veröffentlicht haben, entnehmen können. Ich warne aber dringend davor, eine Debatte über einen Demografie-Soli oder Ähnliches mehr anzufangen.

NOZ: Themenwechsel: In der Staatsschuldenkrise gibt es immer wieder Forderungen nach noch mehr Geld. Wann ist es genug?

BM Schäuble: Wir haben jetzt alles getan, was erforderlich ist. Die Staaten machen die notwendigen Reformen, wir haben uns auf den Weg hin zu einer Fiskalunion begeben, und wir haben einen starken Rettungsschirm als Rückfalloption. Derzeit gibt es eine deutliche Entspannung an den Finanzmärkten [Glossar]. Aber: Wir müssen verloren gegangenes Vertrauen weiter zurückgewinnen. Das dauert. Dabei kommt uns eine Schlüsselrolle zu. Deutschland ist sicher – das versteht auch der Fondsmanager auf einem fernen Kontinent. Wir bekommen derzeit Geld zu Zinssätzen, die sind so niedrig, dass sie eigentlich langfristig nicht richtig sein können, sondern ein Zeichen von Verunsicherung sind. Wichtig ist jetzt, dass alle ihre Hausaufgaben machen und alle aufhören, durch immer neue Forderungen, Gerüchte und Fragen das gerade aufkeimende Pflanzchen „Vertrauen“ zu ersticken.

NOZ: Also, der Euro ist sicher?

BM Schäuble: Der Euro war immer sicher. Und die Chance, dass die Vertrauenskrise nun schrittweise weiter abgebaut wird, ist groß. Die Euro-Finanzminister haben sich in Kopenhagen darauf geeinigt, schneller als bisher Kapital in den ESM einzuzahlen. Der permanente Rettungsschirm wird so bereits 2013 über 64 von 80 Milliarden Euro verfügen. Deutschland zahlt in diesem und dem nächsten Jahr je zwei Tranchen, also knapp unter 8,7 Milliarden Euro pro Jahr ein. Die letzte Tranche von 4,3 Milliarden Euro würde dann 2014 folgen.

Das Interview führten Fabian Löhe und Beate Tenfelde.

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