Der Bundesfinanzminister im Interview mit der Bild am Sonntag



Der Bundesfinanzminister rechnet in einem Interview mit der Bild am Sonntag vom 20. Mai 2012 mit den Thesen von Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin ab, verteidigt den Rauswurf von Umweltminister Röttgen und warnt Griechenland vor einem Aufgeben des Sparkurses.

BILD am SONNTAG (BamS): Herr Minister, Sie sind diese Woche mit dem Internationalen Karlspreis ausgezeichnet worden, stehen jetzt in einer Reihe mit Staatsmännern wie Adenauer, Churchill, Clinton, Blair oder Kohl. Welche Verpflichtung erwächst für Sie daraus?

Schäuble: Ich empfinde den Preis als eine außerordentliche Ehre. Er bestärkt mich darin, auch weiterhin für Fortschritte in Europa zu kämpfen. Denn grundsätzlich gilt, dass das, was gut ist für Europa, immer auch im Interesse Deutschlands ist.

BamS: Wissen Sie, wer den Preis vor genau zehn Jahren bekommen hat?

Schäuble: Hier jetzt gerade, nein. Wer?

BamS: Der Euro [Glossar]. War das nicht etwas voreilig?

Schäuble: Der Euro hat den Karlspreis zu Recht bekommen. Jean-Claude Juncker, ein anderer Karlspreisträger und Vorsitzender der Eurogruppe [Glossar] hat es richtig gesagt: Der Euro bringt die europäische Einigung voran. Er zwingt zu größerer Gemeinsamkeit. So haben wir beispielsweise mit dem Fiskalvertrag etwas geschaffen, was vor zwei Jahren nicht für möglich gehalten worden wäre.

BamS: In Griechenland ist der Euro akut vom Scheitern bedroht. Die Bürger plündern ihre Sparkonten, einige griechische Banken bekommen nur noch Notkredite von der EZB[Glossar], weil sie keinerlei Sicherheit mehr bieten können, die Politiker in Athen flüchten sich aus der Verantwortung. Kann ein Ausscheiden des Landes aus der Eurozone [Glossar]überhaupt noch verhindert werden?

Schäuble: Natürlich! Denn genau mit diesem Ziel haben wir ja mit Griechenland ein umfassendes Hilfs- und Reformprogramm vereinbart, das das Land auf Jahre davon freistellt, sich auf den Finanzmärkten [Glossar] mit Krediten zu versorgen. Und die notwendigen Reformen anschiebt. Nun kommt es darauf an, dass Griechenland zu seinen Verpflichtungen steht.

BamS: Genau das ist das Problem: Im griechischen Parlament gibt es keine Mehrheit mehr für das Sparprogramm. Und der neue starke Mann, der linksradikale Alexis Tsipras, bezeichnet Sparen als Krankheit und wirft der Kanzlerin vor, mit Menschenleben zu pokern.

Schäuble: Ich habe nicht die Absicht, in den griechischen Wahlkampf einzugreifen. Ich kann nur sagen, dass der Weg, den wir mit den Griechen vereinbart haben, gegangen werden muss, und dass er nach meiner Überzeugung erfolgreich gegangen werden wird. Wer den Griechen einredet, sie brauchten sich an das vereinbarte Sparprogramm nicht zu halten, der belügt das griechische Volk.

BamS: Wenn man sich die Wahlergebnisse und die Meinungsumfragen ansieht, dann muss man sagen: Die Mehrheit der Griechen hat sich bereits täuschen lassen…

Schäuble: Jetzt warten wir mal das Ergebnis der Neuwahlen in vier Wochen ab. Und gerade am Freitag gab es ja eine Umfrage, die etwas anderes aussagt. Aber mancher in Griechenland glaubt offenbar, man könne sich aus seinen Verantwortlichkeiten rauswinden, weil „die in Brüssel“ es sich gar nicht anders leisten können.

BamS: Könnten wir es uns denn leisten?

Schäuble: Europäische Solidarität ist keine Einbahnstraße. Das eine geht ohne das andere nicht. Wenn dies in Griechenland wirklich jemand glaubt, dann täuscht er sich und seine Wähler gewaltig. Im Übrigen sind die strukturellen Reformen in Griechenland so oder so notwendig, ein „weiter so wie bisher“ funktioniert nicht, in keinem Szenario.

BamS: Wie viel Zeit hat die griechische Politik noch, um eine Zahlungsunfähigkeit abzuwenden: Tage, Wochen oder Monate?

Schäuble: Griechenland ist über die Jahresmitte hinaus ausreichend mit Geldmitteln ausgestattet, sodass es auf die Finanzmärkte nicht angewiesen ist. Aber es ist ganz klar und eindeutig: Je schneller in Griechenland eine tragfähige Regierung zustande kommt, desto besser. Die gegenwärtige Situation verunsichert die Menschen. Genau das soll Politik nicht tun.

BamS: Das umstrittenste Buch dieses Frühjahrs hat wieder einmal Thilo Sarrazin geschrieben. Der Ex-Bundesbankvorstand erklärt „Europa braucht den Euro nicht“. Werden seine Thesen nicht gerade jetzt auf fruchtbaren Boden fallen?

Schäuble: Ich teile die Meinung von Herrn Sarrazin in keiner Weise, aber er hat natürlich das Recht, sie zu verbreiten. Doch seine Methode, so zu tun, als ob es Denk- oder Sprechverbote in Deutschland zu bestimmten Themen gibt, gegen die er dann verstößt, hat etwas sehr Kalkulierendes. Und ist dann auch noch unsinnig. Das galt schon für die Art und Weise, in der Sarrazin das nicht einfache Problem der Integration in unserem Land behandelt hat. Den damit erzielten kommerziellen Erfolg will er offenbar jetzt mit dem Thema Euro wiederholen. Wenn er anständig Steuern dafür bezahlt, soll es mir recht sein. Aber wir sollten den Herrn nicht wichtiger nehmen, als er ist.

BamS: Ihr Amtsvorgänger Peer Steinbrück diskutiert mit Sarrazin heute Abend über dessen Buch…

Schäuble: Vielleicht glaubt er, dass ihm solche Auftritte im Gerangel um die Kanzlerkandidatur der SPD helfen.

BamS: Kalkül oder nicht: Viele Bürger sind der Oberzeugung, dass Sarrazin mit seinem Buch zum Thema Einwanderung ein Tabu gebrochen hat.

Schäuble: Es gibt weder Denk- noch Sprech- oder Schreibverbote in Deutschland. Es gibt aber das gute Recht von jedermann, sich darüber zu freuen, dass wir trotz Holocaust eine zweite Chance bekommen haben – auch durch Europa – und dass es wieder ein wachsendes jüdisches Leben in Deutschland gibt. Und nicht zuletzt deswegen ist es beispielsweise völlig unangemessen, über angebliche genetische Prädispositionen zu fabulieren, wie Sarrazin es gemacht hat. Entweder redet und schreibt Sarrazin aus Überzeugung einen himmelschreienden Blödsinn oder er macht es mit einem verachtenswerten Kalkül.

BamS: Hoch umstritten ist der Fiskalpakt, der die Euro-Staaten zu mehr Haushaltsdisziplin zwingen soll. Der neue französische Präsident Hollande lässt offen, ob ihn sein Land mitträgt…

Schäuble: Frangois Hollande sagt, man müsste mehr für Wachstum tun. Gegen Wachstum kann niemand etwas haben. Der Fiskalvertrag schafft mit seiner Stabilitätsorientierung eine zentrale Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum, das wird meines Wissens auch vom neuen französischen Staatspräsidenten nicht infrage gestellt. Wir haben in Europa in den vergangenen Jahren und Monaten eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen und vereinbart, um das Wachstum zu stärken. Wenn es zusätzliche Ideen aus Frankreich für mehr Wachstum gibt, wäre es doch albern, diese von vornherein abzulehnen. So tritt man einem neu gewählten französischen Präsidenten nicht entgegen.

BamS: Was erwarten Sie von den EU-Gipfeln in der nächsten Woche und im Juni?

Schäuble: Die große Frage lautet: Was kann zusätzlich in Europa zur Förderung von nachhaltigem Wachstum getan werden? Und da freuen sich doch alle darauf, dass Frankreich jetzt mit dem neu gewählten Präsidenten neue Impulse geben will. Die Bundesregierung ist bereit, über alles zu diskutieren. Was jedoch wirklich niemand wollen kann sind konjunkturelle Strohfeuer, die nur die Schulden erhöhen und die wir später teuer bezahlen müssen.

BamS: In Nordrhein-Westfalen ist die CDU auf 26 Prozent abgestürzt und jetzt sagen alle, Spitzenkandidat Norbert Röttgen trage ganz allein die Schuld. Ist das fair?

Schäuble: Röttgen hat am Wahlabend die Verantwortung für die Niederlage auf sich genommen. Das verdient Respekt. Aber natürlich war er dadurch auch politisch geschwächt.

BamS: Musste man ihn deshalb gleich rausschmeißen?

Schäuble: Die Energiewende ist eine unheimlich wichtige und auch schwierige Aufgabe, da sie so viele Facetten umfasst – da muss der zuständige Minister ganz stark sein. Da muss er seine ganze Autorität in die Waagschale werfen können. Nach so einer Wahlniederlage und der Aufgabe des Vorsitzes des größten Landesverbandes der CDU ist das sicherlich erst einmal sehr viel schwieriger, wenn nicht unmöglich. Deshalb war die Entscheidung der Bundeskanzlerin nachvollziehbar. Es gibt aber keinen Grund für andere, die Verdienste von Norbert Röttgen zu schmälern oder infrage zu stellen.

BamS: Ihr Parteifreund Wolfgang Bosbach hat die Art und Weise der Entlassung Röttgens kritisiert und gesagt: „Ein bisschen mehr Menschlichkeit würde uns ganz gut anstehen.“

Schäuble: Menschlichkeit sollte grundsätzlich immer eine Leitlinie jeder Politik sein. Aber ich weiß nicht, ob Menschlichkeit darin besteht, dass man jeden Vorgang in jeder Talkshow und in jedem Fernsehinterview kommentieren muss. Und es ging nicht nur darum, was für einen talentierten Kollegen menschlich das Beste ist, sondern es ging um die großen Aufgaben, die diese Regierung noch vor sich liegen hat.

BamS: Jetzt müssen Sie erst einmal das Betreuungsgeld auf den Weg bringen, damit Horst Seehofer wieder mitmacht, und die Koalition nicht vorzeitig am Ende ist.

Schäuble: Ein zwischen Koalitionspartnern ausgehandelter und beschlossener Kompromiss muss umgesetzt werden, da hat Horst Seehofer recht. Das Betreuungsgeld ist in unserer Finanzplanung ab 2013 bereits enthalten. Es ist ja lange verabredet.

BamS: Horst Seehofer hat vergangene Woche in einem viel beachteten ZDF-Interview den Eindruck erweckt, dass Politiker bei ausgeschalteten Mikrofonen viel wahrer sprechen als in ihren Interviews. Wie halten Sie es?

Schäuble: Die Interpretation, Politiker würden in Interviews nicht die Wahrheit sagen, ist nicht in Ordnung. Privat kann ich schwätzen, was ich will. Als Finanzminister aber muss ich mich am Riemen reißen. Da gibt es Regeln, zum Teil sogar strafrechtlich bewehrte. Ich muss auf die Finanzmärkte und die Börsen achten. Ich habe schon von meinen Eltern gelernt, dass man sich in der Öffentlichkeit etwas mehr zurücknimmt.

BamS: Internet, Twitter, Facebook derzeit hat man eher den Eindruck, in der Öffentlichkeit nimmt sich keiner mehr zurück…

Schäuble: Ich habe große Probleme mit der Distanzlosigkeit, die durch die modernen Medien in unserer Gesellschaft Einzug halten. Glücklicher werden die Menschen nicht, wenn sie ihre Privatsphäre völlig öffentlich machen. Es ist doch ganz gut, wenn man nicht alles von allen zu jeder Zeit sieht. Ich muss doch nicht ständig mitteilen, um welche Ecke ich gerade herumgefahren bin. Wen sollte das interessieren? Ich bin ich. Wenn man mich mag, ist das schön. Und wenn man mich nicht mag, kann ich das auch gut verstehen.

Das Interview führten Michael Backhaus und Roman Eichinger.

Alle Rechte: Bild am Sonntag.