Bedeutung der Zeitungen für die Demokratie



Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble beim Kongress Deutscher Lokalzeitungen in Berlin

Als Innenminister bin ich für meinen Geschäftsbereich verantwortlich. Meine Zuständigkeit umfasst aber nicht den Bundesnachrichtendienst. Das betone ich angesichts der aktuellen Affäre um die Bespitzelung einer deutschen ?Spiegel?-Reporterin durch den BND ausdrücklich. Momentan tagt das Parlamentarische Kontrollgremium und beschäftigt sich mit dem Fall. Ich kenne die genauen Umstände nicht. Aber natürlich müssen sich auch die BND-Mitarbeiter an Recht und Gesetz halten. Herr Uhrlau, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, hat sich bei der Reporterin offenbar entschuldigt. Dann wird er dazu wohl auch einen Grund gehabt haben. Ich bin mir sicher, dass der Fall im Sinne von Kontrolle und Transparenz aufgeklärt werden wird.

Wir Deutsche blicken häufig mit Skepsis auf den Staat. Wir fragen uns zum Beispiel, warum vieles so langsam geht. Das liegt daran, dass unsere Ordnung auf Machtbegrenzung und nicht auf Machtkonzentration angelegt ist. Die Zeiten in unserer Vergangenheit, in denen politische Entscheidungen sehr schnell gefallen sind, weil es keine Begrenzung der Macht gab, sind sicherlich nicht die besten Zeiten gewesen. Der staatliche Machtmissbrauch während der nationalsozialistischen Diktatur und der sozialistischen Willkürherrschaft ist natürlich ein Grund, weswegen wir Deutsche mit Skepsis auf den Staat sehen. Unser politischer Alltag zeigt aber, dass wir in unserer Bundesrepublik in einem nachhaltig stabilen, freiheitlich verfassten Rechtsstaat mit vielfältigen checks and balances leben, dem wir durchaus Vertrauen entgegenbringen können, selbst wenn es einzelne Verfehlungen gibt und wohl immer geben wird. Die Menschen sind eben so, wie sie sind.

Es ist auch ein Verdienst der Presse, dass unsere demokratische Ordnung im Großen und Ganzen zuverlässig funktioniert. Die Presse stellt eine freie, vom Staat unabhängige Kommunikation sicher. Sie schafft damit eine unverzichtbare Grundlage der politischen Willensbildung in einer freiheitlich verfassten, demokratischen Gesellschaften. Aufgabe der Presse ist es auch, die staatlichen Instanzen als Teil des Systems von checks and balances zu kontrollieren. Dafür muss sie Kritik üben. Das ist ein konstitutives Element jeder freiheitlichen Ordnung. Ohne Kritik kann es keine gelebte Demokratie geben. Denn Kritik hält den demokratischen Prozess im Sinne von trial and error überhaupt erst am Laufen.

Deswegen genießt die Presse einen besonderen Schutz in unserer Verfassung. Das Grundrecht der Pressefreiheit schützt nach Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG die freie Meinungsäußerung und darüber hinaus die institutionelle Eigenständigkeit der Presse. Außerdem haben Journalisten ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht, das sie für den vertraulichen Umgang mit Informanten brauchen.

Aus der Eigenständigkeit der Presse folgt, dass sie ihre Belange in eigener Verantwortung regelt. Die Presse kann ihre öffentlichen Aufgaben nur erfüllen, wenn sie dem Postulat der objektiven Berichterstattung verpflichtet ist und wenn sie eine sorgfältige, differenzierte und in der Gesamtheit ausgewogene Berichterstattung bietet. Dazu braucht sie Vielfalt und Wettbewerb, nicht den Staat. Diese Aufgabe nimmt die Presse alles in allem mit der gebotenen Verantwortung wahr. Dazu gehört, dass sie eigene Standards setzt und deren Einhaltung kontrolliert.

Das hohe Gut der Pressefreiheit gebietet es, dass die Arbeit der Presse frei von staatlicher Einflussnahme ist. Wie jedes Freiheitsrecht ist aber auch die Freiheit der Presse nicht absolut. Bei der Verbrechensbekämpfung etwa können Informationen im Einzelfall über Leben oder Tod entscheiden. Falls sie zum falschen Zeitpunkt öffentlich gemacht werden, kann das die Sicherheit unseres Landes massiv beeinträchtigen und einzelne Menschen konkret gefährden.

Die Schutzpflicht des Staates gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern kann es in manchen Fällen erforderlich machen, dass staatliche Stellen brisante Informationen geheim halten. Falls der Presse geheime Informationen zugespielt werden, hat sie eine besondere Verantwortung, wenn sie sich für deren Veröffentlichung entscheidet. Wenn die Presse diese Verantwortung auf die leichte Schulter nehmen sollte, kann und muss der Staat seine Geheimhaltungsinteressen geltend machen. Bei der juristischen Bewertung solcher Veröffentlichungen bedarf es im Einzelfall einer genauen Abwägung, ob der Pressefreiheit oder den staatlichen Geheimhaltungsinteressen der Vorrang gebührt.

Ich persönlich habe dagegen bereits bei früheren Gelegenheiten gewisse Zweifel angemeldet, ob es richtig ist, Journalisten der Beihilfe zu bezichtigen, wenn sie von der Geheimnisverletzung eines Verwaltungsmitarbeiters profitieren, der ihnen Material zukommen lässt. Im Ergebnis kann dadurch das journalistische Zeugnisverweigerungsrecht unterlaufen werden, das ein wichtiges Element der Pressefreiheit ist.

Zur Gewährleistung der Sicherheit gehört auch eine effektive Strafverfolgung. Falls die Polizei Anhaltspunkte hat, dass eine Person mit mutmaßlichen Mördern oder Terroristen telefonisch in Kontakt steht, muss es möglich sein, beispielsweise mit Hilfe von Verbindungsdaten die Verdächtigen aufzuspüren.

Am Anfang dieses Jahres ist das Gesetz zur Novellierung des Telekommunikationsüberwachungsrechts in Kraft getreten. Einzelne Regelungen des Gesetzes liegen gegenwärtig dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Ich gehe davon aus, dass sie in allen wesentlichen Punkten Bestand haben werden. Die Zuständigkeit für dieses Gesetz, dessen Regelungen ich für sachgerecht und rechtlich einwandfrei halte, liegt im Übrigen beim Justizministerium.

Das neue Gesetz sieht vor, dass die Zulässigkeit einer jeden Ermittlungsmaßnahme, von der Journalisten betroffen sind, ausdrücklich von einer differenzierten Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall abhängig ist. Diese Prüfung erfolgt durch einen unabhängigen Richter. Sie hat das Institut der freien Presse besonders zu berücksichtigen.

In Wahrheit wird die Pressefreiheit durch die Gesetzesnovelle nicht geschwächt, sondern gestärkt. Darauf hat jüngst auch der ehemalige Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, der bis Anfang dieses Monats am Bundesverfassungsgericht unter anderem für Fragen des Medienrechts zuständig war, in einem taz-Interview hingewiesen: Vor der Novellierung waren verdeckte Ermittlungsmaßnahmen gegen Journalisten und andere Berufsgeheimnisträger weitgehend uneingeschränkt zulässig. Nun genießen Journalisten erstmals ausdrücklich einen besonderen Schutz vor heimlichen Ermittlungsmaßnahmen der Polizei.

Aber auch dieser Schutz von Journalisten ist nicht absolut. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Gespräche von Journalisten ? anders als die Gespräche von Geistlichen oder Abgeordneten ? nicht von vornherein und absolut geschützt sind. Beim Abgeordneten gründet der besondere Schutz auf seiner demokratischen Legitimation. Beim Geistlichen ist ausschlaggebend, dass die Gespräche mit ihm regelmäßig den absoluten Kernbereich der Persönlichkeit seines Gesprächspartners betreffen. Beides ist bei Journalisten so nicht gegeben.

Meine Vorrednerin sprach in ihren einleitenden Worten auch von der Befürchtung, dass sich der Marktplatz der Demokratie, den Zeitungen bilden, am Ende leeren könnte. Falls es tatsächlich einmal soweit kommen sollte, glaube ich nicht, dass staatliches Handeln der Grund dafür gewesen sein wird. Möglicherweise ist der unabhängige Journalismus von Morgen eher von zu großen Rücksichten auf wichtige Anzeigenkunden oder auch von überzogenen Gewinnerwartungen der Investoren bedroht.

Ob wir in 20 oder 30 Jahren hochwertigen Journalismus und meinungsstarke Zeitungen in ihrer jetzigen Form noch haben werden, dürfte aber vor allem davon abhängen, ob und wie es Zeitungen gelingt, sich auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters einzustellen. Das Internet wirft die bewährten Geschäftsmodelle der Zeitungen über den Haufen und revolutioniert den Nachrichtenmarkt. Für junge Lesergruppen ist das Internet bereits zum neuen Leitmedium geworden. Ich sehe darin schon eine gewisse Gefahr, dass unsere hoch entwickelte Zeitungskultur in den nächsten Jahrzehnten an Vielfalt und Gewicht eher verlieren als gewinnen könnte.

Der amerikanische Vorwahlkampf zeigt recht gut, wie die Bewerber das World Wide Web erfolgreich nutzen, um potentielle Wähler zu erreichen. Vor allem Barack Obama gelingt es mit seinen Internet-Ansprachen und seiner Aktivität in virtuellen Netzwerken, die Aufmerksamkeit der amerikanischen Nutzer zu gewinnen. Seine Video-Ansprachen werden millionenfach zumeist von einem jüngeren Publikum abgerufen. Laut einer Studie haben bis Dezember 2007 etwa 40 Prozent der Amerikaner unter 30 Jahren online Reden, Werbespots, Interviews oder Debatten der Präsidentschaftskandidaten verfolgt. Inzwischen sind es sicherlich noch einige mehr geworden.

Insgesamt haben deutlich mehr junge Menschen vor allem an den Vorwahlen der Demokraten teilgenommen als beim letzten Mal. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass es den Kandidaten eben gelingt, sie über das Medium Internet gezielt anzusprechen. Außerdem schafft das Internet ein hohes Maß an Transparenz. Jeder Bürger kann online einsehen, wer einem Kandidaten welche Summe für den Wahlkampf gespendet hat. Zusammen mit den im Internet veröffentlichten Steuererklärungen schafft das eine ziemlich wirkungsvolle Kontrolle der Einhaltung der Wahlkampffinanzierungsregelungen. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass das Internet Chancen für eine direkte und transparente Politik bietet.

Die digitale Revolution verändert unsere gesamte gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Ordnung in einem rasenden Tempo. Auch der Markt für Nachrichtenanbieter befindet sich in einem grundlegenden Wandel: Jeder kann im Internet kostengünstig und einfach eigene Inhalte publizieren und weltweit verbreiten. Neue Formen der Zusammenarbeit unter Bloggern machen thematisch vielfältig ausgerichtete Nachrichtenplattformen möglich. Die Zeitungen bekommen die Folgen der digitalen Revolution in Form eines härteren Wettbewerbs gerade um jüngere Zielgruppen zu spüren.

Die riesige Datenmenge, die das Internet mit seinem unbegrenzt großen Gedächtnis bereithält, übersteigt jedes menschliche Fassungsvermögen. Der permanente information overload verändert auch die Art, wie wir uns Nachrichten über das Internet beschaffen. Jeder hat ein paar Lieblingsseiten, die er regelmäßig absurft. Laut einer aktuellen Studie sind das durchschnittlich nicht mehr als acht Seiten pro Nutzer, wobei ein Teil der besuchten Seiten vermutlich mehr Unterhaltungs- als Informationswert besitzen dürfte. Ansonsten entscheidet im hohen Maß das virtuelle Netzwerk eines Nutzers, ob ihn eine Nachricht erreicht oder nicht. Ein erheblicher Teil der Internetkommunikation besteht ja darin, anderen mitzuteilen, dass man etwas Interessantes im Netz gefunden hat. Übrigens hat auch Deutschlands bekanntester Lokaljournalist seine Prominenz dem Internet und seinem System der virtuellen Mund-zu-Mund-Empfehlung zu verdanken. Ich meine Horst Schlämmer, den stellvertretenden Chefredakteur beim Grevenbroicher Tagblatt, der sich im bürgerlichen Leben Hape Kerkeling nennt.

Die recht zufallsgesteuerte virtuelle Mund-zu-Mund-Propaganda ist der vielleicht wichtigste Informationsfilter im Internet. Wilde Gerüchte, schrille Selbstdarsteller und radikal zugespitzte Thesen haben dabei gute Chancen, sich gegen seriöse Konkurrenz durchzusetzen.

Ein Beispiel dafür: Als der Hurrikan Katrina in New Orleans wütete, hat ein Blogger auf einer reichweitenstarken Online-Plattform das Gerücht in Umlauf gebracht, dass verzweifelte Einwohner menschliche Leichen essen würden, um nicht zu verhungern. Die Nachricht hat sich in Windeseile über die ganze Welt verbreitet, obwohl sie nach kurzer Zeit von den Betreibern der Seite wieder vom Netz genommen worden war.

Angesichts der Anfälligkeit der Internetkommunikation für die Verbreitung von Gerüchten sollten Zeitungen auf ihre eigenen Stärken setzen. Das wohl wichtigste Pfund, mit dem sie wuchern können, ist eine hohe Glaubwürdigkeit ihrer Berichterstattung. Die darin liegende Chance gilt es zu erhalten. In Zeitungen arbeiten Nachrichtenexperten, die unabhängig und recht zuverlässig ? der einen oder anderen Zeitungsente zum Trotz ? einschätzen können, was Fakt ist und was Fiktion. Sie vertreten keine Lobbyinteressen. Sie treffen eine am aktuellen Diskussionsstand orientierte Auswahl interessanter Nachrichten, recherchieren kompetent die Hintergründe und erklären die Auswirkungen für die Betroffenen. Sie machen transparent, wo der Sachstand aufhört und der Kommentar anfängt.

Der Filter, den eine Nachricht passieren muss, bevor sie ihren Weg zum Zeitungsleser findet, ist die von Sachkenntnis geleitete journalistische Unbestechlichkeit. Damit erreichen Zeitungen einen hohen Qualitätsstandard, von dem die meisten Internetpublikationen ? von Ausnahmen abgesehen ? nur träumen können.

Es dürfte den Zeitungen langfristig am meisten bringen, wenn sie auch im härter werdenden Wettbewerb um Aufmerksamkeit auf Qualität und Glaubwürdigkeit setzen. Den Kampf um die reißerischste Nachricht werden Zeitungen gegen das Internet wohl kaum gewinnen können. Umso bedenklicher ist es, wenn Journalisten ihre Glaubwürdigkeit gelegentlich leichtfertig aufs Spiel setzen.

Anfang dieses Monats hat die FAZ beispielsweise einen so genannten ?Enthüllungsjournalisten? unter die Lupe genommen, der an der Berichterstattung zum so genannten ?Sachsen-Sumpf? maßgeblich beteiligt war. Dort ging es um geheime Akten des Verfassungsschutzes zur angeblichen Verstrickung sächsischer Politiker, Polizisten und Justizbeamter in kriminelle Netzwerke. Der Journalist hat laut FAZ in seinen Publikationen und Interviews ? ich zitiere ? ?auf Skandalisierung ohne Netz und doppelten Boden? gesetzt statt auf seriöse Recherche. Seine Behauptungen sind bei der Überprüfung offenbar wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Das Vertrauen in die journalistische Glaubwürdigkeit wird dadurch nicht eben gefördert.

Oft beginnt die Zuspitzung um jeden Preis schon bei den Agenturen, deren Meldungen sich im täglichen Kampf um die Aufmerksamkeit der Journalisten behaupten müssen.

Man findet schnell schlechte Beispiele und vergisst leicht die vielen guten. Skandale bleiben eben meistens stärker im Gedächtnis als positive Nachrichten. Das kann Politikern passieren, wenn sie sich über Journalisten auslassen. Das kann aber auch Journalisten passieren, wenn sie das politische Leben kommentieren. Qualitätsjournalismus besteht auch darin, mittels einer ausgewogenen Berichterstattung transparent zu machen, was Regel ist und was Ausnahme. Alles andere führt recht schnell zu Populismus. Ich weiß, dass das alles leichter gesagt als getan ist, zumal im Wettbewerb um das knappe Gut ?Aufmerksamkeit? die reißerische oder skandalträchtige Information Startvorteile hat. Aber für die nachhaltige Zukunftssicherung freier Presse ist Qualitätssicherung gleichwohl aussichtsreicher.

Zeitungen tragen nicht nur durch die Vielfalt ihrer Berichterstattung zum Funktionieren unseres Gemeinwesens bei. Ihre Bedeutung für eine lebendige Demokratie ist von grundsätzlicher Art. Denn die freie und eigenverantwortliche Entscheidung der Bürger in politischen Fragen kann nur auf Grundlage nicht staatlich reglementierter, öffentlicher Meinungsbildung erfolgen. Das habe ich bereits erwähnt.

Arthur Miller hat eine gute Zeitung einmal treffend beschrieben als ?a nation talking to itself?. Genauso gut könnte man, wenn eine gute Lokalzeitung gemeint ist, von der Region im Selbstgespräch sprechen. Zeitungen schaffen Öffentlichkeit. Sie bringen Politik zu den Menschen. Umgekehrt spielen Zeitungen ihre Analysen und die Lebenswirklichkeit der Betroffenen in den politischen Raum zurück. Dieser Austausch erfolgt tagesaktuell, kompakt und zugleich differenziert, weil Zeitungen Raum für unterschiedliche Anliegen, tiefer gehende Einlassungen, Rede und Gegenrede bieten ? ganz im Sinne des fortwährenden Gesprächs, das eine freiheitlich verfasste, demokratische Ordnung mit sich selbst führt. Dazu braucht Demokratie die freie Presse mit ihren hohen Qualitätsstandards, weil die gesellschaftliche Kommunikation ohne sie in Gefahr liefe, zum Smalltalk zu verkümmern.

Indem Zeitungen einen gemeinsamen Gesprächshorizont schaffen, stärken sie auch den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Herbert Riehl-Heyse hat dazu einmal klug bemerkt: Die Zeitung ist ?eine der letzten Klammern einer immer weiter auseinander driftenden Gesellschaft, in der sich schon die Orthopäden mit den Handchirurgen kaum mehr ohne Dolmetscher verständigen können.“

In unserer globalisierten Gesellschaft, die sich immer stärker grenzüberschreitend organisiert, findet gleichzeitig eine gegenläufige Bewegung zur Stärkung kleiner, übersichtlicher Teilöffentlichkeiten statt. Wenn Distanzen schrumpfen und Grenzen ihre Bedeutung verlieren, kann das nur gut gehen, wenn nicht gleichzeitig auch die eigenen Maßstäbe und Werte, die dem Menschen Halt und Orientierung geben, verschwinden. Das Internet macht die Welt zum Global Village, in dem alle Informationen für alle Menschen zur Verfügung stehen. Im Global Village ist aber niemand zuhause. Es überschreitet unsere Fassungskraft. Also gewinnen begrenzte, regionale Perspektiven an Bedeutung. Für Lokalzeitungen birgt diese Entwicklung Chancen ? ebenso wie für die Politik. Deswegen glaube ich, dass es Lokalzeitungen am Ende sogar leichter als überregionalen Blättern gelingen könnte, sich in der zukünftigen vernetzten Informationsgesellschaft zu behaupten.

Viele Probleme lassen sich vor Ort besser angehen, als auf nationaler oder gar europäischer Ebene. Deshalb besitzt der Gedanke der Subsidiarität für unser föderales System eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Subsidiarität bedeutet, dass die höhere Ebene sich selbst beschränken muss, um Engagement näher an der Basis zu ermöglichen. Gerade auf lokaler Ebene braucht Politik die Beteiligung der Bürger, und dort führt diese auch zu sachgerechten Lösungen.

Die Lokalzeitung ist mit den langfristigen Bindungen, die sie zu ihren Lesern unterhält, das Medium, das Menschen am Geschehen in ihrer Umgebung teilhaben lässt. Sie schärft den Sinn für das Besondere, das eine Region auszeichnet, für lokale Geschichte, die die Gegenwart prägt, und sie gibt Orientierungspunkte in einer sich rasch ändernden Welt.

Letztlich hat jedes Ereignis einen lokalen Ausgangspunkt und lokale Folgen, egal wie global es daherkommt. Gleiches gilt für jede Nachricht über ein Ereignis: ?All news is local? heißt es ja auch. Als Macher Ihrer Zeitung zeigen Sie immer wieder von neuem, wie ortsverbunden Nachrichten eigentlich sind ? und vielleicht auch die Menschen, die sie machen. Ich wünsche Ihrem Kongress einen guten Verlauf, anregende Begegnungen und zahlreiche Impulse, damit die Zeitungen weiterhin ihre Aufgabe für unsere freiheitliche Ordnung erfolgreich erfüllen können.